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Stand: 19.01.2015

Pressemitteilung

Augsburg

Rechtswirklichkeit benachteiligt Menschen mit Behinderungen

Augsburg, 06.03.2020 (pca). Das Sozialrecht in Deutschland ist ein gutes Recht. Daran zweifelt kaum einer. Auch nicht Peter Hell, der beim Augsburger Diözesan-Caritasverband, seit vielen Jahren das Referat Teilhabe und Pflege leitet und damit auch für die Behindertenhilfe zuständig ist. Doch eines will er nicht akzeptieren, "nämlich wenn es ungerecht zugeht". Und das tut es offensichtlich. Landauf landab werden viele Anträge auf Maßnahmen der Eingliederungshilfe, Teilhabe-, Hilfe- und Unterstützungsleistungen sowie Hilfsgeräte für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen gestellt, die dann abgelehnt werden. "Die Rechte und Ansprüche, die Menschen mit Behinderungen bei uns haben, werden nicht umgesetzt, wie sie umgesetzt werden müssten", so Hell.

Der Caritasverband für die Diözese Augsburg e. V. hatte nun zu einem Fachtag Beraterinnen und Berater der Offenen Behindertendienste wie auch Rechtsanwälte in das Caritas-Haus in Augsburg eingeladen, um dieses Dilemma zwischen tatsächlichen rechtlichen Anspruch und der ungenügenden Umsetzung zu beleuchten und langfristig gemeinsam zu lösen. Der Fachtag war der erste größere Auftakt des Projektes Sozialrechtliche Mobilisierung und Befähigung von Menschen mit Behinderung des Diözesan-Caritasverbandes. Ziel dieses Projektes ist es, durch eine Vernetzung der BeraterInnen der Offenen Behindertenarbeit mit Rechtsanwältinnen und -anwälten Menschen mit Behinderungen dabei zu helfen, ihre individuellen Ansprüche auf Eingliederungshilfe durchzusetzen, aber auch Betroffene selbst dahingehend zu stärken, ihre Rechte selber besser kennen zu lernen wie auch in die eigene Hand nehmen zu können. Finanziert wird das Projekt durch das Diözesanwerk für Behinderte der Diözese Augsburg. "Wir tun das gerne", sagte ihr Vorsitzender Diakon Ralf Eger. "Es gehört nämlich zur Würde des Menschen, dass sie zu ihrem Recht kommen, und nicht, weil sie nicht ihr Recht bekommen, uns um Almosen bitten zu müssen."

Rechtsansprüche auf Unterstützungsleistungen der Eingliederungshilfe durchzusetzen, ist keine einfache Aufgabe. Das machte der Vortrag von Roland Rosenow, Referent für Sozialrecht beim Deutschen Caritasverband, sehr deutlich. Da ging es nicht nur um juristisches Feinwissen, sondern um Grundsätzliches. Hart und eindeutig waren seine Bewertungen. "Die Fachgerichtsbarkeit hat nicht verinnerlicht, dass die UN-Behindertenrechtskonvention zu berücksichtigen und damit bindend ist." Und: "Wir haben es im Sozialrecht mit systematischen rechtswidrigen Verwaltungsentscheidungen zu tun." Teilhabeleistungen würden einfach verwehrt, obwohl "die Teilhabeleistungen auf dem uneingeschränkten Bedarfsdeckungsgrundsatz beruhen." Rosenow wurde in seinem Vortrag, in dem er auch auf die Verwaltungsverfahren, die Probleme der Bedarfs- und Leistungsfeststellung einging, noch deutlicher: "Es geht hier um verfassungsrechtliche Ansprüche, und die können nicht einfach zurückgewiesen werden."

Wird Klage erhoben, sehen sich die Betroffenen mit Zuständigkeitsstreitigkeiten der Kostenträger - in Bayern sind das die Bezirke, das Jugendamt und die Krankenkassen, mit komplizierten verfahrensrechtlichen Fragen und einer sehr langen Verfahrensdauer bis zu drei Jahren konfrontiert, die Betroffene oftmals nicht durchhalten können, vor allem weil sie die Hilfe bereits zum Zeitpunkt des Antrags benötigen und nicht erst Jahre später. Auch ist es äußerst kompliziert einen Rechtsberatungsschein und dann eine Prozesskostenhilfe zu beantragen. Und dann ist es bislang sehr schwer, einen Anwalt aus dem Sozialrecht zu finden, der sich des Falls für eine relativ geringe Aufwandsentschädigung annimmt. Dabei verliert nicht nur ein Mensch mit einer Behinderung schnell den Mut. Zudem kann sich in der Zwischenzeit sich die Lebenssituation so verändert haben, dass der Antrag schon nicht mehr der persönlichen Lebenswirklichkeit entspricht, wie Kathrin Schulan, die Koordinatorin des Projektes Sozialrechtliche Mobilisierung, im Gespräch sagt. Ein Problem kommt hinzu. Die Beraterinnen und Berater der Offenen Behindertenarbeit sind keine Juristen. Ihre Antrags- oder Widerspruchsschreiben werden deshalb gerne und schnell zurückgewiesen.

Für Rosenow wie auch Schulan, Hell und die Projektverantwortliche Verena Rauch ist es deshalb klar: "Ohne Anwälte geht es nicht." Rosenow will es nicht dabei bewenden lassen. "Die Anwälte brauchen die Unterstützung der Behindertendienste." Grund dafür: Anwälte haben nicht das Fachwissen der Fachdienste der Eingliederungshilfe, Einschränkungen der Teilhabemöglichkeiten zu beurteilen und Beeinträchtigungen zu definieren. Eine rein juristische Kausalitätswirkungsprüfung reiche hier nämlich nicht aus.

"Wir brauchen also nicht nur die Anwälte, wir brauchen eine Kooperation von Anwälten und den Fachdiensten in der Behindertenhilfe", führte Rosenow weiter aus. Und selbst das reicht ihm nicht aus: "Das Potential, das im Sozialrecht liegt, wird nicht gehoben, wenn man nur individuelle Klagen erhebt. Wir brauchen die Öffentlichkeit, denn das Verständnis von Behinderung ist gesellschaftlich bedingt. Wir brauchen auch die Politik sowie Mitstreiter in den Verwaltungen." Dass dieses Ziel in der Politik, zumindest beim Bezirk Schwaben, keineswegs abgelehnt wird, das signalisierte die Vize-Präsidentin des Bezirks bei der Podiumsdiskussion. "Wir brauchen die Verbände für neue Ideen und Anregungen, auch als Kooperationspartner für die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes." Gleichwohl gestand sie ein, dass die finanziellen Möglichkeiten des Bezirks nicht so gestrickt seien, dass alle Wünsche in Erfüllung werden gehen können.

Die Ausführungen insbesondere Rosenows erfreuten Hell, der die Idee für das Projekt Sozialrechtliche Mobilisierung und Befähigung von Menschen mit Behinderung des Augsburger Diözesan-Caritasverbandes hatte und es anstieß, aber auch die Projektverantwortliche Rauch und die Projektkoordinatorin Schulan. Sie sahen dadurch in ihrem Ansatz für das Projekt bestätigt, nämlich Menschen mit Behinderungen dabei zu helfen, ihre individuellen Rechtsansprüche durchzusetzen, und das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Problematik zu wecken und zu schärfen. "Wir wollen aus dem Projekt heraus, Kenntnisse gewinnen und diese in unsere Gespräche auch mit dem Bezirk einbringen. Aber wir wollen nicht die Ergebnisse dieser Gespräche abwarten, denn die Betroffenen können nicht darauf warten", sagte Hell zum Abschluss des Fachtages. 

 

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