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Stand: 19.01.2015

Pressemitteilung

Hospizfachtagung

Hospizbewegung muss um ihrer Zukunft willen soziale Ungleichheiten durchbrechen

Die moderne Gesellschaft wolle, dass der Mensch immer mehr selbst gestalte, immer mehr Verantwortung für sich selbst übernehme, auch was das Sterben betrifft. "So kommt das Lebensende daher in Form eines zu gestaltenden vorzusorgenden Lebensprojektes, das jeder zu bewältigen hat."

Prof. Schneider war am Samstag eingeladen, vor über 200 ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und -helfern beim 16. Begegnungs- und Fortbildungstag der Hospizgruppen im Bistum Augsburg zu sprechen. Er beschäftigt sich seit den 1990er Haren mit Sterben und Tod als gesellschaftliche Phänomene. Als Soziologe würdigte er das Engagement der "Bürgerbewegung" der Ehrenamtlichen in der Hospizarbeit. Sie hätten an der gesellschaftlichen Entwicklung, dass man sich in vorsorgender Weise um sein eigenes Lebensende kümmern müsse, es ‚macht", einen ganz wesentlichen Anteil.

"Sie haben Sterben und Tod in einem ganzheitlichen Sinn zum Thema gemacht", sagte Prof. Schneider. Heute - immerhin wüssten zwei Drittel der Bevölkerung mit dem Begriff Hospiz etwas anzufangen - sei deshalb die Hospizbewegung Teil des umfänglichen Sicherheitsversprechens der modernen Gesellschaft, "dass egal, was passiert, es Menschen gibt, die vorbehaltlos helfen."

Die hohe Professionalität der in der Hospizbewegung engagierten Menschen - sie müssen sich sehr lange auf ihre Aufgabe der Sterbebegleitung fachlich und menschlich vorbereiten - habe dazu beigetragen, dass es heute inzwischen einen rechtlichen Anspruch auf professionelle Angebote in der Medizin und in der Palliative Care gebe.Die Kernfrage für Prof. Schneider ist deshalb, wie sich künftig das Verhältnis zwischen dem hauptamtlichen "versorgenden" Angebot und dem ehrenamtlichen "begleitenden" Hospizdienst gestalten wird. Er forderte vielleicht zur Überraschung manches Zuhörers nicht eine klare Aufgabenteilung.

Seine Antwort beruht auf der soziologischen Analyse der Hospizbewegung. Traditionsgemäß kümmere sich das Ehrenamt seit seinem Entstehen im 19. Jahrhundert um Angehörige der eigenen Schicht, sprich der Mittelschicht, die gelernt und die Chancen dazu hat, sich selbst zu organisieren und das Leben zu gestalten. "Es ging also um die Absicherung eigener Privilegien." Die heutige Hospizbewegung zeige hierbei eine Analogie. Diese sei vorwiegend weiblich und stammt aus dem gehobenen Mittelstand. Und die Frauen hätten ein bestimmtes Alter erreicht, da sie sich nach der Erziehungsphase in der Hospizbewegung engagieren.

Warum er das kritisch sieht, macht er an seinen Beobachtungen der heutigen Gesellschaft fest. In der modernen sich selbst organisierenden Gesellschaft könne sich eigentlich nur der Mensch mit höherer Bildung und einem höheren Wohlstand auch um das Lebensende mit allen gesetzlichen Vorsorge- und Versorgungsangeboten kümmern.  "Wir dürfen nicht vergessen: Wie wir sterben, ist vor allem eine Frage des sozialen Status, es hängt davon ab, wie viel materielles, soziales und kulturelles Kapital wir haben. Der Ärmere und weniger Gebildete stirbt um durchschnittlich zehn Jahre früher", sagte Prof. Schneider.

Das dürfe die Hospizbewegung aber nicht hinnehmen. Ihre Aufgabe sei es deshalb, in ihrer Arbeit die Ungleichheiten zu überwinden und die sozialen Schichten zu durchbrechen. "Sie müssen sich als Bürgerbewegung verstehen, die die Erstarrung des Systems überwindet und sich für alle einsetzt." Wenn die Hospizbewegung dies tue, könne sie künftig Ehrenamtliche auch aus allen Schichten und anderen Altersgruppen für die Hospizarbeit gewinnen und auch ein Stück männlicher werden. "Ihre Hospizbewegung ist deshalb mit dem Ehrenamt bei allen professionellen Versorgungen am Lebensende nicht am Ende. Ihr steht ein Aufbruch bevor", so der Augsburger Soziologie-Professor Schneider. Sie dürfe sich nicht vor dieser Aufgabe drücken, "denn ich will lieber in einer Gesellschaft leben, die sich um das Sterben kümmert, als tot macht."

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