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Stand: 19.01.2015

Pressemitteilung

Augsburg

Caritas Augsburg: Entwurf für das neue Bundesteilhabegesetz ist ein Ausschlussgesetz

Der Grund: "Das Ziel, die Ausgaben im Bereich der Behindertenhilfe neu aufzuteilen, wird zu einem Bermuda-Dreieck der Benachteiligung insbesondere für schwer- und schwerstbehinderte Menschen werden. Das ideelle Ziel, bessere Voraussetzung für eine bessere Teilhabe, Inklusion, für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, wird dadurch in ein Ausschlussverfahren umgewandelt." So Domkapitular Dr. Andreas Magg, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V.. Dem Augsburger Diözesan-Caritasverband gehören 124 Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe mit mehreren Tausend Beschäftigten und betreuten Menschen an.

Vier Hauptgründe führt der Augsburger Diözesan-Caritasverband in seiner Ablehnung an. Die neue schematische Definition von Behinderung schließe Behinderte mit Einschränkungen in nur wenigen Lebensbereichen wie auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung aus dem Kreis der Bezugsberechtigten aus. Die Aufteilung der Kosten für verschiedene Teilbereiche von Grundsicherungs-, Pflege- und Assistenzleistungen auf Pflegeversicherung, kommunalen Sozialhilfeträgern und die regionalen Kostenträgern in der Behindertenhilfe werde zu einem "Bermuda-Dreieck" insbesondere für schwer- und schwerstbehinderte Menschen.

Die Neuregelung der örtlichen Zuständigkeit für die Kosten der Eingliederungshilfe stößt ebenfalls auf Widerstand des Augsburger Diözesan-Caritasverbandes. Er befürchtet, dass dadurch viele Angebote wegfallen werden. Das Urteil zu dem Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes ist deshalb eindeutig: "Es führt nicht zur Inklusion, sondern zur Exklusion gerade der Menschen, die am dringendsten unsere Hilfe brauchen. Es ist kein Teilhabegesetz, sondern ein Ausschlussgesetz."

Detailliert begründet legt der Augsburger Diözesan-Caritasverband seine ablehnende Haltung. Die Definition von Behinderung lehne sich zwar an den internationalen Normen und Instrumenten der ‚International Classification of Functioning, Disability and Health‘ (ICF). "Doch der Kreis leistungsberechtigter Personen wird einem Durchschnittsschema unterworfen, so dass der individuelle Bedarf nicht mehr der ausschlaggebende Punkt für einen Leistungsbezug ist", sagt Peter Hell, Leiter des Referates Alten-, Behinderten- und Gesundheitshilfe, Hospiz und Autismus. Nach dem Entwurf muss ein Behinderter in fünf von neun Lebensbereichen "dauerhaft" behindert sein bzw. Hilfen benötigen. "Es gibt aber Behinderte, die in nur drei Bereichen Hilfe benötigen. Und die erhalten dann keine Hilfen mehr", unterstreicht Diözesan-Caritasdirektor Dr. Magg. Hell ergänzt: "Seelisch, psychisch kranke Menschen benötigen oft nicht kontinuierlich und dauerhaft Hilfe. Deren Hilfebedarfe schwanken. Auch ihnen droht deshalb der Ausschluss aus der Teilhabe."

Die Augsburger Caritas lehnt des Weiteren den Plan ab, die Kosten zwischen der Pflegeversicherung und den Kostenträgern der Eingliederungshilfe - in Bayern sind das die Bezirke - aufzuteilen. Dabei sollen die Pflegesachleistungen der häuslichen Pflege, die von der Pflegeversicherung zu tragen sind, Vorrang haben vor den Leistungen der Eingliederungshilfe in der Häuslichkeit, die bisher von Bezirken in Bayern übernommen werden. Die häusliche Pflege, bislang eine Selbstverständlichkeit, die durch die Eingliederungshilfe je nach Bedarf automatisch mitgetragen wurde, "wird nun dadurch zu einem Abstimmungsbedarf zwischen dem Menschen dem Behinderung und der Pflegeversicherung", bedauert Hell.

"Diese Assistenzleistungen in der häuslichen Unterstützung werden deshalb eine andere Qualität haben, als die in vielen Jahrzehnten gewachsene Qualität im sozial- und heilpädagogischen Bereich." Zudem befürchtet der Diözesan-Caritasverband, dass durch die Vorrangigkeit der Pflegeversicherung Assistenzangebote zur Förderung der Teilhabe am Leben durch einen fortwährenden Kompetenz- und Kostenstreit letztlich wegfallen werden.

Als ebenso "sehr bedenklich" bewertet Hell die grundsätzliche Überlegung, die Verantwortung für die Finanzierung von Assistenzleistungen zu verschieben. Bislang sind diese über die Eingliederungshilfe steuerfinanziert. Damit ist sie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit der Bestimmung der Kostenübernahme durch die Pflegeversicherung werden die Assistenzleistungen zu einer zusätzlichen Kostenbelastung für die gesetzlich Versicherten. "Das kann so nicht gewollt sein", sagt Hell.

Der Referentenentwurf für das Bundesteilhabegesetz sieht des Weiteren vor, die existenzsichernden Leistungen wie zum Beispiel Wohnung, Ernährung, Kleidung von den Fachleistungen wie z. B. Assistenz, Begleitung und Unterstützung zu trennen. Insbesondere schwer- und schwerstbehinderte benötigen aber darüber hinaus Räume für Therapie, Begegnung und Rückzugsmöglichkeiten, wie sie bislang in den Einrichtungen der Behindertenhilfe auch vorhanden sind. Bislang wird alles aus einer Hand finanziert. Wenn wie in Bayern Kommunen für die Grundsicherung und die Bezirke für Eingliederungshilfe zuständig sind, "geraten diese Menschen mit existentiellen Bedarfen erneut zwischen zwei unterschiedliche Kostenträger", beklagt Hell. Menschen ohne Einschränkungen hätten hier schon genügend Schwierigkeiten und müssten viel Zeit mitbringen, um sich durchsetzen zu können. "Wie sieht das aber bei Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen aus?", merkt er kritisch an.

Menschen mit einer sehr schweren oder mehrfachen Behinderung und Menschen mit ganz besonderen Behinderungsbildern - zum Beispiel schwere Formen aus dem Autismusspektrum, Prader-Willi-Syndrom, selbst- und fremdgefährdende Verhaltensweisen - drohen bei einer weiteren Regelung zu den Benachteiligten des Gesetzesentwurfes zu werden, wenn dieser tatsächlich unverändert vom Bundestag verabschiedet werden sollte. Bislang gilt die Regel, dass der Träger der Eingliederungshilfe, in dessen Gebiet der leistungsberechtigte Mensch ursprünglich lebte, auf Dauer für die Kosten der Gesamtleistung aufzukommen hatte. Das galt auch, wenn die leistungsberechtigte Person aufgrund ihres besonderes Hilfebedarfes in ein Gebiet eines anders Kostenträgers umzog, weil dort ein für ihn passendes stationäres oder ambulantes Angebot bestand.

Diese Regel soll abgeschafft werden. Der ursprüngliche Kostenträger soll künftig nur für zwei Jahre die Kosten tragen. Nach Ablauf dieser Frist soll dann der Kostenträger der Eingliederungshilfe zuständig sein, in dessen Gebiet die betreffende Person umgezogen ist. Die Folge wird nach Überzeugung von Diözesan-Caritasdirektor Dr. Magg und seinem Mitarbeiter sein: "Das wird dazu führen, dass sich Träger der Eingliederungshilfe eine Vermeidungshaltung bei der Ansiedlung von neuen, vor allem stationären Angeboten aneignen werden." Sprich sie werden sich genau überlegen, ob sie die Rechnung für andere zahlen müssen. "Erneut werden Menschen insbesondere mit schweren und schwersten Behinderungen einen fortwährenden Kostengerangel unterworfen. Das darf nicht unser Ziel sein", fordert Domkapitular Dr. Magg.

 

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