Seit wann sind Sie Pflegeeltern?
2012 sind wir Pflegeeltern für eine Kurzzeitpflege geworden. Wir haben ein 2 jähriges Mädchen aufgenommen. Sie lebte 2 Jahre bei uns. Sie hatte sich gut eingelebt. Dann wurde die Kleine an junge Pflegeeltern vermittelt und verbrachte 10 Monate in dieser Familie. Es hat miteinander nicht so gut geklappt. Das Jugendamt sah die neue Perspektive für die Kleine in einer Heimunterbringung. Damit war die leibliche Mutter nicht einverstanden. 2015 kehrte das Mädchen zu uns zurück - nun als unbefristete Dauerpflege.
Was hat Sie damals bewegt, Pflegeeltern zu werden?
Mein Mann und ich waren schon immer sehr sozial engagiert. Wir hatten einen Auslandsaufenthalt geplant, um in einem sozialen Projekt mitzuarbeiten. Nach diesem Projekt beschlossen wir, den Blick auf Kinder, die hier vor Ort in Not sind, zu legen. Eine Berichterstattung in den Medien über das schwierige Leben eines Pflegekindes gab dann den Ausschlag für uns.
Was mögen Sie an ihrem Pflegekind besonders?
Sie kann sehr herzlich sein. Sie hat sich zu einem freundlichen und munteren Kind entwickelt. Ihre Begabungen haben uns damals angesprochen.
Beschreiben Sie bitte die Anfangsphase als Pflegefamilie: Was war für Sie herausfordernd?
Während der Schwangerschaft hat die Mutter Drogen und Alkohol konsumiert. Dies hatte gesundheitliche Folgen für das Kind.Ihr Wissens -und Entwicklungsstand entsprach nicht ihrem Alter. Sie war deutlich zurückgeblieben. Sie hat nicht gesprochen. Sie konnte sich nicht mitteilen. Das war für beide Seiten sehr problematisch. Als das Mädchen zu uns kam, war es sehr verwahrlost. Erst mit 4 Jahren war sie trocken. Später stellte sich heraus, dass sie ein ADHS - Kind ist. Dank unserer Berufs- und Lebenserfahrung war es uns möglich, einen Zugang zu der Kleinen zu finden. Wir haben uns viel belesen und mit psychologischer Hilfe war der Umgang mit diesem Kind für uns möglich. Die Kleine provozierte gern. Sie tat sich auch selbst körperlich weh. Sie machte sich bemerkbar, in dem sie schrie. Auch heute geht es ihr oft nicht schnell genug. Sie drängelt sich überall vor. Nur um mal ein paar Beispiele aus unserem Alltag zu benennen. Das Mädchen ist eine Kriegerin. Sie kämpft, sie kämpft auch mit einem Bären. Unsere Devise: "Wir halten zusammen - Wir sind eine Familie." Das Wichtigste für uns ist, dass das Mädchen ein Zuhause hat - für seine Psyche und für seine Persönlichkeit.
Wie hat das familiäre und soziale Umfeld auf Sie und Ihr Pflegekind reagiert?
Wir haben vorher mit niemanden darüber gesprochen. Unsere 4 erwachsenen Kinder haben einige Zeit benötigt, mit der Kleinen warm zu werden. Unser jüngster Sohn hat sich mit ihrer Art schwergetan. Er fühlte sich von ihr tyrannisiert. Heute kommen sie gut miteinander aus. Unsere Kinder haben alle eine soziale Seite. Heute sind alle in einem guten Kontakt mit ihr. Unsere Pflegetochter hat durch unsere große Familie die verschiedensten Charaktere von Menschen erlebt. In unserer Kirchgemeinde sind alle sehr freundlich zu ihr. Sie geht gern hin und fühlt sich dort sehr wohl.
Wie gestaltet sich der Kontakt und der Umgang mit den leiblichen Eltern des Kindes?
Wir haben uns von Anfang an mit um ihre Mutter gekümmert. Zeitweise war sie viel unterwegs. Nach Ihrer Rückkehr wollte sie am liebsten mit bei uns einziehen. Sie wollte uns auch gern als ihre Eltern ansehen, nicht nur als die Pflegeeltern ihrer Tochter. Ihr Kind hat sich zum Geburtstag gewünscht, dass ihre Mutter heiratet. Sie hat dies auch getan. Bislang hält diese Ehe. Der Kontakt ist regelmäßig. Die leibliche Mutter möchte gern Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochter nehmen. Sie schimpft mit ihr, wenn sie sich unangemessen gegenüber uns Pflegeeltern verhält. Doch das sehen wir als unsere Aufgabe. Das müssen und wollen wir mit dem Kind selber klären. Das Mädchen hält sich gegenüber ihrer Mutter eher zurück. Eine Zeit lang war der Vater im Kontakt auch nah dran. Das tat dem Kind nicht so gut. Zusätzliche Probleme nach den Umgangskontakten benötigten weder das Kind noch wir Pflegeeltern. Die dadurch entstandene Überforderungssituation für unsere Familie musste schnell beendet werden. Die Umgänge mit den Eltern wurden begrenzt. Wir möchten, dass sie es lernt, mit der Wahrheit umzugehen, beispielsweise, was ihre Biographie betrifft.
Was möchten Sie interessierten Menschen mitgeben?
Es ist in jedem Fall bereichernd, sich um ein Kind zu kümmern, dass sonst wenig Chancen im Leben hätte. Es soll eine Chance bekommen in eine Familie integriert zu werden und in einem stabilen sozialen Umfeld aufzuwachsen. Wenn wir uns nicht um diese Kinder kümmern, bricht das auch mal über unsere Gesellschaft herein. Wir haben jetzt eine Elterngeneration, die ihre Kinder nicht mehr erziehen kann. Beruf und Karriere sind wichtig. Doch wir sind der Meinung, dass sich nicht Institutionen um Kinder kümmern sollen, sondern Familien. Kinder brauchen Liebe und Zuwendung. Ja, Kinder bilden Wut aus. Ja, sie werden aggressiv. Die Kinder sind unsere Zukunft. Die hohen Zahlen an Inobhutnahmen stimmen uns nachdenklich. Erwachsene müssen etwas von sich in die Kinder investieren. Für uns Pflegeeltern ist es bereichernd, was die Kinder zurückgeben. Auch von ihnen bekommt man Liebe zurück. Wir Erwachsenen müssen die Begabungen in den Kindern entdecken, sei es musikalisch oder sportlich. Wir Eltern dürfen die Kinder begleiten, damit sie Lebensfreude erfahren und sich auf ihr Erwachsenwerden freuen. Sie sind wie eine "Wunderkiste" - aufmachen und reinschauen und staunen. Pflegeeltern müssen hinter ihrem Pflegekind stehen.
Welchen Eigenschaften oder Kompetenzen sind aus Ihrer Erfahrung heraus hilfreich, um Pflegeeltern werden zu können?
Man sollte zuerst mit sich selber klarkommen. Eigene Ziele im Leben zu haben ist wichtig. Pflegeeltern zu sein ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die sehr bereichernd sein kann, wenn man auf das Kind schaut, wie es sich entwickelt. Man muss auch über den Tellerrand schauen können. Die Frage der Motivation: - warum will ich ein Kind aufnehmen? Erwachsene sollten sich um die Sorgen vor der Haustüre kümmern, nicht nur um die Not und das Elend, was es in der Ferne gibt. Wir alle müssen das Gefühl entwickeln: Der Nächste darf mir nicht egal sein. Erwachsene müssen den Mut finden, sich auf ein Kind einzulassen. Was uns sehr bewegt, ist die Frage: Wie finden wir Menschen, die eine positive Einstellung haben, um Kinder an ihr Herz zu nehmen?
Erfahrungsbericht von Familie R. (unbefristete Vollzeitpflege)