Martin Polenz arbeitet in der Fachstelle "Zukunft Alter" der Stadt Arnsberg. Mit einem netzwerkorientierten Ansatz unter dem Motto „Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz“ bietet die Stadt Koordination und unterstützt alle relevanten Akteure.Markus Lahrmann
Mit einem netzwerkorientierten Ansatz unter dem Motto "Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz" bietet die Stadt Koordination und unterstützt alle relevanten Akteure.
Caritas in NRW: Was ist das Besondere, wenn ich in Arnsberg wohne und an Demenz leide? Kann ich mich dort besonders wohlfühlen, bin ich da besonders gut aufgehoben?
Martin Polenz: Wir versuchen, die Informationen zum Thema Demenz geradezu Beratungs- und Unterstützungsangeboten sehr transparent aufzubereiten. Wir versuchen die Kombination von professionellen Hilfsangeboten und zivilgesellschaftlichen Angeboten zu verstärken, so dass man als betroffene Familie beispielsweise erstens schnell Zugang zu einem Beratungsangebot findet, zweitens auch die passende Versorgung für Zuhause oder ein stationäres Angebot findet oder vermittelt bekommt. Gleichzeitig wird das aber verknüpft mit einem bürgerschaftlich organisierten Besuchsdienst, mit Entlastungsangeboten etc. In der Folge soll also ein möglichst enges Netz bestehen, auf das sich die als betroffene Familie verlassen kann. Denn es ist ja klar: Neben der von Demenz betroffenen Person sind die Angehörigen genauso betroffen, die jahrelang in der Unterstützung oft Unglaubliches leisten. Sie gehen teilweise über die eigene Belastungsgrenze hinaus. Dort frühzeitig Entlastung zu verschaffen, ist eines unserer Ziele. Als Stadt ist es uns ein Anliegen, dass man sich auch als Betroffener möglichst angstfrei über Demenz äußern und nach Unterstützung schauen kann. Wir können seit sieben oder acht Jahren in den verschiedenen Stadtteilen Angebote schaffen, die sich auch für Menschen mit Demenz eignen. Das sind kulturelle Angebote, Kreativprojekte speziell für Menschen mit Demenz.
Caritas in NRW: Es gibt ja Prognosen, dass die Zahl der Menschen mit Demenz sehr stark ansteigen wird. Wie können sie so versorgt werden, dass sie nicht nur satt und sauber leben, sondern menschenwürdig umsorgt und mit Lebensqualität in dieser besonderen Krankheitssituation leben. Ist Arnsberg da Vorreiter?
Martin Polenz: Ich selbst versuche immer, die Perspektive einzunehmen, wie es mir gehen würde, wenn ich dement würde? Was würde ich dann erwarten, worauf würde ich hoffen, welche Hilfen und Angebote wünschen? Demenz ist in aller Regel ein langjähriger Prozess, das kann 15 Jahre dauern. Man darf sich Demenzkranke nicht nur als hochgradig pflegebedürftig vorstellen. Demenz beginnt schleichend mit dem Nachlassen von bestimmten kognitiven Gedächtnisleistungen, Fähigkeiten. Damit bin ich kein anderer Mensch, sondern ich verändere mich langsam und schleichend. Ich durchlaufe auch in der Regel verschiedene Phasen von Verdrängung, Angst. In diesen verschiedenen Stadien die notwendige Unterstützung zu bekommen auch von meinem Umfeld verstanden zu werden, das würde ich mir wünschen und für mich persönlich auch erhoffen. Deswegen versuchen wir, unsere Stadt so zu verändern. Durch Schulungen, durch Qualifizierungsmaßnahmen z. B. im Einzelhandel, für die Banken, gerade für Busfahrer wollen wir erreichen, dass man im öffentlichen Raum für Menschen sensibilisiert ist, die vielleicht so ein bisschen aus der Rolle fallen. Die verwirrt erscheinen. Ziel ist, dass man damit rücksichtsvoll umgeht, vielleicht genauer hinschaut und überlegt, was kann ich denn hier tun. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass man eine ungefähre Kenntnis von Demenz hat oder erst einmal auch von älteren Menschen überhaupt. Da beginnen wir in Arnsberg schon im Kindergartenalter, es gibt Schulungsreihen für Erzieherinnen und Erzieher. Die lernen, wie sie Bilder vom Alter behandeln. Manche kleinen Kinder erleben ja ältere Menschen gar nicht mehr selbst, weil Oma und Opa nicht mehr im eigenen Haus leben sondern vielleicht 400 Kilometer weit weg. Oder sie haben keinen Kontakt mehr, auch das gibt es immer häufiger. Man kann nicht mehr voraussetzen, dass junge Menschen selbstverständlich Umgang mit älteren oder auch hochbetagten Menschen haben. Das schafft manchmal Distanzen, vielleicht auch emotionale Distanzen. Wenn wir es schaffen, dass in der Nachbarschaft, im Stadtteil und in der Stadt die Menschen sich begegnen können, einander als Menschen wahrnehmen können, ist das eine wichtige Voraussetzung für Solidarität. Oder auch nur für einen sensiblen Umgang. Nur in der persönlichen Begegnung kann ich erleben, dass der andere - ob er jetzt alt ist oder jung - sich genauso wie ich mit zentralen Fragestellungen des Lebens, vom Sterben, von Krankheit und Gesundheit, Lieben, Einsamkeit auseinandersetzt. Das sind Themen, die den Menschen in jedem Alter beschäftigen können. Viele Praxisprojekte in Arnsberg zeigen, dass es gelingt, mit vielen Partnern auch aus den Wohlfahrtsverbänden und aus dem Bildungsbereich solche Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen. So können wir die Voraussetzung dafür mitgestalten, dass Menschen mit Demenz gut aufgehoben sind in unserer Stadt.
Caritas in NRW: Was nehmen sie von dieser Caritas-Tagung heute mit?
Martin Polenz: Ich glaube, diese Fachtagung ist eine Bestätigung dafür, dass sich immer mehr Menschen auf den Weg machen, um sich aus den eigenen Bezügen und Zwängen gedanklich zu lösen und zu schauen, was noch außerhalb des unmittelbaren Tellerrandes Thema ist. Es geht darum, wohin wir als Gesellschaft uns verändern müssen und neu orientieren, um diesen neuen Anforderungen und Herausforderungen auch gerecht zu werden. Das finde ich ein ermutigendes Beispiel. Solche Fachtagungen beschäftigen sich mit Fragestellungen des Älterwerdens und mit Demenz. Wenn wir es jetzt hinbekommen, dass wir das trägerübergreifend und sektorübergreifend die Möglichkeiten nutzen, die wir da haben, dass wir Allianzen bilden können von Staat, von Markt, Zivilgesellschaft mit den unterschiedlichsten Organisationen mit der Zielsetzung, Menschen mit Demenz in ihrem Leben zu unterstützen - ja dann denke ich, haben wir viel erreicht.
Caritas in NRW: Vielen Dank!
Das Interview führte Markus Lahrmann.
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