Generalistische Pflegeausbildung
"Die Reform ist notwendig!"
Pedro Citoler
Fast zehn Jahre nach Beendigung des Modellvorhabens "Pflegeausbildung in Bewegung" mit acht Einzelprojekten zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe in die parlamentarische Beratung eingebracht. Mit diesem Gesetz sollen die bisher getrennten Berufe der Altenpflege und Kranken- und Kinderkrankenpflege in eine gemeinsame Ausbildung münden.
Die Ergebnisse der Modellprojekte hatten gezeigt, dass die gemeinsame Ausbildung erfolgreich umgesetzt werden kann. Die gemeinsamen Bestandteile der Ausbildung nahmen in allen Projekten zum Ende der Ausbildung einen so hohen Anteil an, dass eine Zusammenführung der Ausbildungen weitestgehend erreicht wurde. Die wissenschaftliche Begleitforschung stellte fest, dass die erworbenen Kompetenzen die Absolventen befähigen, in allen Bereichen der allgemeinen Pflege professionell und fachlich kompetent zu handeln.
Die aus den Modellprojekten resultierende Neukonzeption der pflegeberuflichen Ausbildung erfordert eine grundlegende Auseinandersetzung der Akteure mit dem erforderlichen Kompetenzprofil des Pflegeberufes sowie den Inhalten und Strukturen einer modernen Pflegeausbildung. Die Diözesan-Caritasverbände in NRW haben genau wie der Deutsche Caritasverband und seine Fachverbände der Altenhilfe und Krankenhäuser diese Diskussion frühzeitig begonnen und sich für eine generalistische Ausbildung ausgesprochen. Aufgrund der erfolgten Diskussionen sowie der Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Modellprojekten sowie den Entwicklungen im Gesundheits- und Pflegebereich befürwortet die Caritas die Zusammenführung der Pflegeberufe. Die Reform ist aus Sicht der Caritas notwendig, da sie den Herausforderungen der sich verändernden Versorgungsbedarfe und den demografischen Entwicklungen begegnet. Der Gesetzesentwurf entspricht in vielen Punkten den Forderungen der Caritas. So wird eine reformierte Ausbildung auch dazu beitragen, die Attraktivität des Pflegeberufes zu erhöhen und junge Menschen für diesen Beruf zu gewinnen.
Horizontale Durchlässigkeit
Bislang beginnt die Spezialisierung bereits in der Pflegeausbildung. Dies unterscheidet Deutschland nicht nur von anderen europäischen Ländern, sondern auch von der üblichen Ausbildungsstruktur im Bereich personenbezogener Gesundheitsdienstleistungen wie Medizin, Psychologie oder Physiotherapie. Die EU-Anerkennung gilt aktuell nur für den Abschluss Gesundheits- und Krankenpflege. Pflegekräfte können derzeit gar nicht oder nur sehr schwer das Arbeitsfeld wechseln. Dies schränkt sowohl die Handlungsoptionen der Träger von Einrichtungen als auch die der Pflegekräfte ein.
Eine generalistische Pflegeausbildung ermöglicht Pflegekräften, einfacher entsprechend ihrer persönlichen Präferenz und jeweiligen Lebenssituation zwischen den verschiedenen Arbeitsfeldern der Pflege zu wechseln. Diese Möglichkeit fördert die Attraktivität des Pflegeberufes und die Konkurrenzfähigkeit zu anderen Berufen.
Pedro Citoler
Karrierechancen durch vertikale Durchlässigkeit
Menschen mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen möchten in der Pflege tätig sein und berufliche Perspektiven haben. Die Aufnahme der hochschulischen Pflegeausbildung in das Gesetz bietet zukünftig die Möglichkeit, die dreijährige Pflegeausbildung oder ein die Ausbildung beinhaltendes Pflegestudium zu wählen. So werden neue berufliche Karrierewege eröffnet. Die Pflegepraxis wird profitieren, da pflegewissenschaftliche Expertise durch eine strukturierte Verbindung mit dem konkreten Handlungsfeld die fachliche Entwicklung in den Arbeitsfeldern fördert.
Sicherung der Versorgung
Eine auf die berufsfeldübergreifenden Kompetenzen der Pflege ausgerichtete Ausbildung ermöglicht auch zukünftig professionelles, kompetentes und qualifiziertes pflegerisches Handeln. Indem die Ausbildung alle pflegerischen Settings und die Pflege von Menschen in allen Lebensaltersstufen umfasst, werden die erforderlichen Kompetenzen erworben, pflegerelevante Anforderungen in den unterschiedlichen Situationen zu analysieren, das erforderliche Wissen und Können zur Bewältigung der Situation zu erwerben und, soweit erforderlich, in Abstimmung mit anderen Professionen das Handeln der konkreten Situation anzupassen. Dass dies gelingt, wurde in den Modellprojekten nachgewiesen.
Die geplante Ausbildungsstruktur mit Pflicht-, Wahl- und Vertiefungseinsätzen verbindet die generalistische Ausrichtung der zukünftigen Pflegeausbildung mit der Möglichkeit, vertiefte Kenntnisse im angestrebten Arbeitsfeld zu erwerben. So werden diejenigen, die ihren Beruf in der Altenpflege oder der Kinderkrankenpflege ausüben möchten, einen erheblichen Teil der Ausbildung dort absolvieren. Gleiches gilt, wenn das Arbeitsfeld der ambulanten Pflege, der Pflege in einem Akutkrankenhaus oder der psychiatrischen Krankenpflege anvisiert wird. Dies sichert, dass Auszubildende schon im Ausbildungsprozess die für die Pflege erforderlichen Kompetenzen in ihrer dort spezifischen Relevanz kennenlernen. Von besonderer Bedeutung für die Ausbildungsqualität ist es, dass berufserfahrene Pflegekräfte mit ihrer Expertise die Ausbildung prägen. Die über die allgemeine Pflege hinausgehenden erforderlichen Spezialisierungen, z. B. in der Intensivpflege, sind wie bisher durch geeignete Weiterbildungen zu erwerben.
Die neue Pflegeausbildung wird auch durch eine einheitliche Finanzierung der Gleichrangigkeit der Ausbildung in allen pflegerischen Handlungsfeldern gerecht. Die geforderte auskömmliche Finanzierung sichert die fachliche Qualität der Ausbildung.
Brigitte von Germeten-Ortmann
Leiterin der Abteilung Gesundheits- und Altenhilfe beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Paderborn
Generalistische Pflegeausbildung
"Missachtung eines Berufsbildes"
Deutscher Caritasverband e. V./KNA
Das geht ja gar nicht!
… Dieser Satz fiel am häufigsten bei Gesprächen über die generalistische Ausbildung. Gesagt von engagierten Pflegenden, die sich als Kinderkrankenschwestern bezeichnen - und fühlen. Schon jetzt erleben sie die schlechtere Ausbildungsqualität von Schülerinnen, die ihre Kinderkrankenpflege zu einem großen Teil gemeinsam mit der "großen Krankenpflege" und auf Erwachsenenstationen erlernen. Da muss vieles kompensiert werden, vieles nachgeschult werden.
"Das geht ja gar nicht!", höre ich mit einem Unterton von Wut über die Missachtung ihres Berufsbildes. Und es klingt viel Enttäuschung in den Sätzen mit. Besonders darüber, dass ihr Engagement und ihre Begeisterung für die Pflege von kranken Kindern "mit Füßen getreten werden".
"Kindesmisshandlung" kommt mir in den Sinn. Starker Tobak. Aber leider befürchte ich als Leiter einer mittelgroßen Kinder- und Jugendklinik wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen eine deutliche Verschlechterung der Pflegequalität in der Kindermedizin. Jugendliche, kleine Kinder und kleinste Frühgeborene - und immer: große Sorgen der Eltern. Das geht nicht mit "Generalistik". Das erfordert den Wunsch, gerade diesen Kindern zu helfen. Das erfordert eine besondere Art der Patientenbeobachtung und des Mitfühlens. Die Eltern eines Frühgeborenen von 500 Gramm dürfen mit Recht eine besondere Kompetenz erwarten. Ebenso die Patienten mit einer angeborenen Stoffwechselerkrankung oder einer Behinderung.
Kein Qualitätsschub!
"Das geht gar nicht!", sagen auch die Auszubildenden in der Kinderkrankenpflege. Für sie ist Kinderkrankenschwester ein völlig anderer Beruf als Krankenschwester oder gar Altenpflegerin. Viele von ihnen hätten die Ausbildung unter dem Vorzeichen "Generalistik" nicht begonnen. Alle haben diesen Beruf "KINDERkrankenpflege" sehr bewusst gewählt. Es gibt Alternativen außerhalb der Pflege. Dahin werden viele abwandern. Schade, denn wir brauchen gerade jetzt diese helfenden Hände.
"Das geht gar nicht!", haben letztlich alle gesagt, die unsere Kinderklinik besucht und sich informiert haben über das Reformvorhaben in der Pflegeausbildung. Nach Gesprächen mit Auszubildenden und Kinderkrankenschwestern, Eltern und Ärzten konnten sie feststellen, dass der angepriesene "Qualitätsschub" nicht erfolgen wird. Und die vielen Worthülsen -" … neues Berufsbild, bedarfs- und kompetenzorientiert, unabhängig vom Lebensalter …" - sind nicht mehr als Sand in den Augen.
Wer hofft, davon zu profitieren? Krankenpflegelehrer/-innen, Pflegedienstleitungen, die akademische Pflegeausbildung und Geschäftsführungen. Warum? Mehr Flexibilität, weniger Kosten. Eine Verbesserung der Pflege von kranken Kindern wird damit jedenfalls nicht erreicht.
Ich bin wütend.
Dr. Hubert Gerleve
Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik Christophorus-Kliniken GmbH Coesfeld,
Akad. Lehrkrankenhaus der Universität Münster
Pflegeberufegesetz
Nachbesserungen gefordert
Die Diözesan-Arbeitsgemeinschaft Altenhilfe und Pflege des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln hat die geplante Reform der Berufsausbildung durch ein Pflegeberufegesetz begrüßt.
Karikatur: Thomas Plaßmann
Aus Sicht der Einrichtungen ist eine Modernisierung des Berufsstandes mit einem angepassten Curriculum und einer gemeinschaftlichen Ausbildung für eine zukunftssichere Altenpflege unabdingbar, heißt es in einer Stellungnahme zum Pflegeberufegesetz.
Und weiter: "Die am 24.02.2016 veröffent-lichten Eckpunkte für eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zum PflegeberufeG sprechen von einer Neukonzeption des Berufes, in der es um umfassende Handlungskompetenzen geht. Anteile aller Ausbildungen müssen mitberücksichtigt werden. Zukünftig wird durch den demografischen Wandel ein Mehrbedarf im sozialpflegerischen Aspekt der Versorgung älterer Menschen bestehen. Dies ist im Curriculum entsprechend zu gewichten.
Von einer Änderung der Pflegeausbildung sind viele verschiedene Menschen auch als Bewohner und Patienten betroffen. Von daher sind Aspekte der Qualität, Umsetzbarkeit und finanziellen Versorgung zu beachten. Im folgenden werden neun Punkte genannt, an denen Nachbesserungsbedarf besteht."
Die gesamte Stellungnahme ist unten als Download verfügbar.
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