Erfahrungsbericht von Familie R. (Adoptivfamilie)

Im Jahr 2012 - nach langer Zeit der Odyssee durch Kinderwunschkliniken - war klar, der Traum vom eigenen Kind sollte sich für uns nicht erfüllen. In der Phase des Abschiednehmens von diesem Wunsch wurde uns aber auch klar, dass wir uns neue Ziele für unser Leben setzen möchten. In langen Gesprächen wurde für uns deutlich, dass wir auf ein Leben mit Kind nicht verzichten wollten. Ein Termin beim Jugendamt half uns die Entscheidung gegen ein Pflegekind und für ein Adoptivkind zu fällen. Das Jugendamt händigte uns die Unterlagen aus und damit waren wir dann erstmal ein viertel Jahr beschäftigt. Wir machten uns Gedanken über unsere Vergangenheit als Kind in unserer Ursprungsfamilie, setzten uns mit unseren Erziehungsideen auseinander und schrieben  jeweils unsere ganz persönliche Biografie. Dazu kam der Arztbesuch um unsere gesundheitliche Eignung nachzuweisen, Führungszeugnisse beantragt und Einkommensnachweise kopiert werden. Dann konnten wir endlich den Antrag abgeben.
Es folgten zwei Hausbesuche durch das Jugendamt, bei denen geschaut wurde, ob wir räumlich in der Lage sind ein Kind aufzunehmen und bei denen auch besprochen wurde, was für ein Kind für uns in Frage käme. Uns war wichtig, genau zu erklären, was wir leisten können und was nicht. Da wir beide schon etwas älter sind und beide im Beruf und Alltag gut verwurzelt, war uns klar, dass wir für ein Baby nicht die richtigen Eltern sein können. Wir wünschten uns ein 3- 4jähriges Kind (am liebsten ein Mädchen), das keine gesundheitlichen Einschränkungen hat und eher extrovertiert ist. Dem Jugendamt ist es extrem wichtig, dass man nicht aus der Not heraus sagt: Ich nehme alles, Hauptsache ein Kind! Sondern genau weiß, was man zu leisten in der Lage ist. Wir waren sehr dankbar für diese Klarheit und diese Möglichkeit.
Kurze Zeit darauf erhielten wir unsere Einladung für das Seminar für Adoptiv- und Pflegeelternbewerber. Zwei Wochenenden in Lichtenstein standen uns bevor. Wir waren so aufgeregt! In der Gruppe, die fast ausschließlich aus Adoptionsbewerbern bestand, merkten wir sehr schnell, wie angenehm es ist unter Gleichgesinnten zu sitzen. Die meisten hatten eine ähnliche Geschichte hintern sich gebracht, die sie nun an diese Stelle ihres Lebens führten. Mit einigen von ihnen treffen wir uns bis heute zum Erfahrungsaustausch.
Am zweiten Wochenende waren zwei Familien eingeladen, die schon den Weg der Adoption gegangen waren und uns nun von ihren Erfahrungen berichteten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir davon ausgegangen, dass vor uns noch eine lange und kinderlose Wartezeit lag. Der kommende Urlaub war für Zwei gebucht und wir eigentlich entspannt. Dann erzählten uns die beiden Familien wie schnell es bei ihnen ging. Kaum drei Wochen nach dem Seminar war schon der erste Kontakt zu ihrem Kind. Nun war es für uns vorbei mit der Entspannung, denn wir fühlten, der wichtigste Schritt in unserem Leben war nicht mehr so weit entfernt.
Und genauso kam es dann auch: 14Tage nach unserem Seminar rief das Jugendamt an und teilte uns mit, dass sie uns gern ein Kind vorstellen möchten. Erstmal ohne tatsächliche Anwesenheit, sondern ausschließlich über die Biografie und Fotos. Die Tage bis zu diesem Termin waren so unglaublich intensiv und aufregend und natürlich geprägt von der Hoffnung es möge "unser Kind" sein.
Dann war es endlich soweit - unser Kind wurde uns vorgestellt. Und schon beim Erzählen wurde deutlich, unser "Wunschkatalog" war erhört worden. Dann kam das Foto und das setzte den Punkt auf das I - meine ersten Worte zu dem Foto waren: Die sieht genauso aus wie ich als Kind! So gab es also ein Ja von uns für ein erstes Treffen.
Dann war auch dieser Tag da! Wir gingen in die Wohngruppe in der unsere 4jährige Kleine untergebracht war und waren sofort positiv eingestellt. Die Seminarleiterin hatte uns sehr deutlich gesagt: Riechen Sie an dem Kind! Wenn es für Sie gut riecht, dann ist es das Richtige! Nur leider waren mein Mann und ich beide erkältet. Und nun schnaubten und schnüffelten wir um das Kind herum und konnten trotz Schnupfen feststellen: Es roch wie unser Kind!
Nun folgte eine Zeit voller Aufregungen: Besuche und Ausflüge, Kinderzimmer einrichten, Erziehungsratgeber für vier Jahre lesen, Verwandte und Freunde vorbereiten, den Arbeitgeber über Elternzeit informieren usw
Den geplanten 1wöchigen Urlaub zu zweit führten wir trotzdem durch und nutzten ihn um noch einmal durchzuatmen und Schwung zu holen für die kommenden Jahre.
Nach ca. zwei Monaten war es dann endlich soweit - unsere Kleine zog bei uns ein. Davor war sie schon ab und zu am Wochenende bei uns gewesen und hat bei uns übernachtet, wir machten viele Ausflüge und hatten jede Menge Erlebnisse zusammen. Die erste Zeit mit unserer Tochter war für alle eine Zeit der Eingewöhnung - sie musste sich an fremde Menschen und in einem fremden Haushalt eingewöhnen und wir mussten plötzlich noch für einen kleinen Menschen mitdenken. Darüber hinaus hatten wir die Schwierigkeit zu überwinden eine Beziehung aufzubauen, einen neuen Menschen kennenzulernen und komplett in die Erziehung einer 4jährigen einzusteigen. Ich bin froh und dankbar, dass unsere Familie und unsere Freunde mit Rat und Tat an unserer Seite standen und stehen und uns unterstützen.
Mit der leiblichen Mutter unseres Kindes gab es drei Kontakte. Die waren für alle natürlich sehr aufregend. Jetzt meldet sich die Mutter nicht mehr. Unsere Tochter hat sehr selten Sehnsucht nach ihr, aber noch nicht so intensiv, dass wir uns jetzt gezwungen sehen den Kontakt unbedingt aufrechtzuerhalten. Wir haben die Kontaktdaten und werden unsere Tochter, wenn sie das später wünscht bei der Kontaktaufnahme unterstützen.
Unsere Tochter ist das Kind einer sehr jungen Mutter, die es außerhalb von Hilfeeinrichtungen nicht geschafft hat, sich um das Kind zu kümmern. Aus dieser Einsicht heraus hat sie ihr Kind zur Adoption freigegeben. Unsere Tochter hat sicher viele Dinge in ihrem jungen Alter gesehen, die sie noch nicht hätte sehen sollen. Da sie sich an vieles Erinnern kann, spricht sie auch darüber, so dass wir eine Chance haben, es mit ihr zu bearbeiten. Unsere Tochter ist für ihr Alter sehr reflektiert und kann sehr gut ihre Ängste und Sorgen ansprechen. Es ist dann an uns, das wahrzunehmen und mit ihr zu besprechen. Durch die Zeit, in der sie nicht optimal gefördert worden ist, haben sich Sprachstörungen entwickelt, die wir aber mit Hilfe einer Logopädin angehen.
Wir nehmen unser Kind nicht als Adoptivkind war, sondern als unser Kind. Unsere Familie und Freunde unterstützen das, indem sie immer wieder liebevoll auf Ähnlichkeiten im Verhalten hinweisen. Auch entwicklungsbedingte Auffälligkeiten setzen wir nicht in den Kontext der Adoption, sondern gleichen das Verhalten mit Gleichaltrigen ab und entdecken dort meist dieselben Problemlagen.
Wir lieben unser Kind so wie es ist: liebevoll, aufgeweckt, kommunikativ, phantasievoll, reflektiert. Wenn wir in die Zukunft schauen, freue ich mich auf jeden Tag den wir miteinander verbringen. Wir werden sicher eine aufregende Zeit des Schuleintritts, eine spannende Pubertät, die erste Liebe usw. erleben, genauso wie in anderen Familien auch. Wenn wir zurückschauen, würden wir uns jederzeit wieder für diesen Schritt entscheiden, denn er hat unsere Tochter zu uns gebracht. Vielleicht hätten wir manchmal ein wenig mehr Geduld haben sollen, aber das können wir ja beim zweiten Kind üben. Der Antrag ist schon gestellt!
Familie R., Adoptivfamilie