Kommentar

Enteignungen?

Das Menetekel

Porträt: Markus LahrmannMarkus Lahrmann, ChefredakteurAndre Zelck

Angeheizt durch die bundesweiten Proteste gegen Mietwucher und für mehr bezahlbaren Wohnraum, entspann sich in den letzten Wochen eine politische Debatte über Enteignungen und Verstaatlichung. Zwar ist richtig: "Enteignungen schaffen keine einzige bezahlbare Wohnung." Aber Achtung: Wer damit die gesamte Debatte abwürgen will, verkennt den Ernst der Lage. Der Ruf nach Verstaatlichung ist auch eine Reaktion auf Privatisierungen, die im Ergebnis zu oft nur wenigen nutzten. 2008 hatte die Landesregierung die 93000 Wohnungen der Landesentwicklungs-Gesellschaft für angeblich 787 Millionen Euro verkauft. Mieten wurden erhöht. Die Käufer brachten die LEG fünf Jahre später an die Börse, Erlös 1,77 Milliarden Euro.

Wohnen gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Es ist nicht so verkehrt, den Staat an die Aufgaben zur Daseinsvorsorge zu erinnern. Dazu zählt die Bereitstellung von öffentlichen Einrichtungen für die Allgemeinheit, also Verkehrs- und Beförderungswesen, Energie- und Wasserversorgung, Infrastruktur usw. Dieser Bereich ist für Privatisierungen sehr empfindlich. Deswegen muss man den Ruf nach Enteignungen als Warnsignal begreifen. Da ist zu viel gelaufen, was sich für die Allgemeinheit als schlechtes Geschäft erwiesen hat.

Aus der Bibel kennen wir die Geschichte von König Belsazar in Babylon, dem ein "Menetekel" Schreckliches prophezeite.

Rufe nach Verstaatlichung sind das Menetekel im Hier und Jetzt: "Vergesst nicht das Soziale in der Marktwirtschaft!" Es geht um den Kerngedanken des Sozialstaats, nämlich das Verhältnis von Einzelinteresse und Gemeinnutz. Das Thema greift schon Artikel 14 des Grundgesetzes auf: Eigentum verpflichtet und soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dem Wohl der Allgemeinheit dienen auch Krankenschwestern, Polizisten, Sozialarbeiter, Erzieherinnen. Die müssen aber in immer mehr Städten erleben, dass sie dort zwar arbeiten dürfen, aber nicht mehr wohnen können, weil sie die hohen Mieten nicht zahlen können. Auf die Frage nach dem Verhältnis von Einzelinteresse und Allgemeinnutzen braucht es überzeugende Antworten. Sonst behält das Menetekel recht.